„Wir brauchen auch eine Haltungswende“
04.09.2024
Verbandstag: Der Genossenschaftsverband Weser-Ems fordert ein Umdenken in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Mehr Miteinander und Vertrauen statt Gegeneinander und Misstrauen wären vorteilhaft für unseren Wohlstand. Die Genossenschaftsbanken in Weser-Ems sind gut ins Jahr gestartet und konnten Einlagen- und Kreditvolumen im ersten Halbjahr 2024 steigern. Die Ländlichen Genossenschaften haben ihre Marktposition 2023 gestärkt. Energiegenossenschaften rücken immer mehr in den Fokus von Gründern und Kommunen. Der DRV-Hauptgeschäftsführer Jörg Migende lobt Weser-Ems als Vorzeigeregion für genossenschaftliche Innovationsstärke und wirtschaftliche Leistungskraft.
Oldenburg. Eine neue Haltung fordert der Genossenschaftsverband Weser-Ems in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. „Ein neuer Geist der Kooperation, mehr Miteinander statt Gegeneinander, mehr Vertrauen statt Misstrauen wären vorteilhaft für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes und den Wohlstand seiner Bürgerinnen und Bürger“, sagte Verbandsdirektor Johannes Freundlieb auf dem Verbandstag heute in den Weser-Ems-Hallen in Oldenburg. Vor rund 260 Zuhörern betonte er, dass Deutschland vor großen Herausforderungen stehe und eine politische Reformagenda notwendig sei, um die Transformationsaufgaben wie Energiewende, demografischer Wandel und Digitalisierung bewältigen zu können. Doch die Politik werde die Probleme nicht allein lösen können.
„Wir brauchen auch eine Haltungswende in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“, betonte Freundlieb und erntete damit auch die Zustimmung von Johann Kramer, Vorsitzender des Verbandsrates und des Präsidiums des Verbandes und Vorstandsvorsitzender der Raiffeisen-Volksbank eG in Aurich, sowie vom Gastredner Jörg Migende, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV). Dieser lobte Weser-Ems als eine Vorzeigeregion für genossenschaftliche Innovationsstärke und wirtschaftliche Leistungskraft.
Genossenschaften sind Stütze des Wohlstands
Die mehr als 300 genossenschaftlichen Unternehmen in Weser-Ems würden diese Wende in der Haltung bereits „qua Satzung“ in sich tragen und leben, sagte Freundlieb. Die genossenschaftliche Idee setze auf Solidarität, Kooperation, Demokratie und Nachhaltigkeit. Auch deshalb seien sie wirtschaftlich erfolgreich und vor allem krisenfest. Das zeigten auch die Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr 2023. Mit einem im Vorjahresvergleich stabilen Umsatz von knapp 12 Milliarden Euro bei den Ländlichen Genossenschaften und Gesellschaften (Ware, Vieh, Obst, Gemüse und Milch) und den Energiegenossenschaften sowie einem auf mehr als 39 Milliarden Euro gestiegenen Bilanzvolumen (plus 1,98 Prozent) der Volksbanken und Raiffeisenbanken seien die genossenschaftlichen Unternehmen mit rund 18.000 Beschäftigten eine wichtige Stütze der Wirtschaft und des Wohlstands in der Region.
Die Genossenschaftsbanken seien ebenso „systemrelevant“ für die Finanzierung des Mittelstands wie auch die Ländlichen Genossenschaften und Gesellschaften für den Agrarbereich. Die Geschäftszahlen seien von Wachstum, einer soliden Ertragskraft sowie intakten und innovativen Geschäftsmodellen geprägt. Dennoch sei die Stimmung insbesondere bei den Waren- und Viehvermarktern „keinesfalls enthusiastisch“. Unzureichende politische Rahmenbedingungen, der anhaltende Strukturwandel, immer mehr Bürokratie und zunehmende regulatorische Auflagen trübten die Zukunftsaussichten.
Volksbanken und Raiffeisenbanken: Gutes erstes Halbjahr
Die Volksbanken und Raiffeisenbanken in Weser-Ems hätten auch 2024 wieder gezeigt, wie robust und leistungsfähig sie seien. „Das haben die Ergebnisse für das erste Halbjahr eindrucksvoll bestätigt“, betonte Verbandsdirektor Axel Schwengels mit Blick auf die Zahlen zur aktuellen Geschäftsentwicklung. Danach konnten die 48 in die statistische Auswertung einbezogenen Genossenschaftsbanken im Einlagen- und im Kreditgeschäft im Vergleich zum Vorjahreszeitrum erneut zulegen. Die Bilanzsumme erhöhte sich danach um 1,2 Prozent auf rund 39,55 Milliarden Euro. Das betreute Kundenkreditvolumen stieg im laufenden Jahr um 1,9 Prozent auf 40,1 Milliarden Euro und das betreute Kundenanlagevolumen um 1,8 Prozent auf 39,3 Milliarden Euro.
Auf der Ertragsseite zeigt die Ergebnisvorschaurechnung des Genossenschaftsverbandes Weser-Ems zur Jahresmitte ein ebenfalls sehr zufriedenstellendes Niveau. Das Betriebsergebnis vor Bewertung wird danach für 2024 mit 1,01 Prozent der durchschnittlichen Bilanzsumme (dBS) zwar voraussichtlich unter dem Spitzenwert des Vorjahres von 1,16 Prozent der dBS liegen. Grund seien in erster Linie die erhöhten Zinsaufwendungen. Dennoch dürften die Genossenschaftsbanken im bundesweiten Vergleich aber erneut ein Spitzenergebnis einfahren, betonte Schwengels: „Die Zahlen zeigen, dass das Geschäftsmodell der Genossenschaftsbanken sehr intakt und belastbar ist.“
Ländliche Genossenschaften stärken Marktposition
Verbandsdirektor Freundlieb sagte, dass die Ländliche Genossenschaften ihren Umsatz 2023 trotz weitgehend gesunkener Preise im Vorjahresvergleich mit 11,6 Milliarden Euro auf einem stabilen Niveau halten konnten. Damit hätten diese ihre Marktposition weiter gestärkt. Ein Jahresergebnis von mehr als 51 Millionen Euro sowie eine überdurchschnittlich gute Eigenkapitaldecke mit Quoten von teilweise deutlich mehr als 50 Prozent der Bilanzsumme ermöglichten weiterhin Investitionen auf hohem Niveau. Insbesondere habe sich die wirtschaftliche Lage der Schweinehalter, die mehrere schwierige Jahre zu verzeichnen hatten, erholt. Dennoch werde perspektivisch im Bereich des Landhandels und der Viehvermarktung eine weitere Konzentration erwartet.
Transformationsbeschleuniger
Genossenschaften seien Transformationsbeschleuniger, sofern die Rahmenbedingungen stimmten, betonte Verbandsdirektor Schwengels. Das zeigten zahlreiche Beispiele von der Umstellung der LKW-Flotten auf E-Mobilität über klimaschonende Konzepte zur Milchproduktion und Tierfütterung bis hin zur Nutzung von Künstlicher Intelligenz. Zu den Vorreitern der Energiewende zählten zudem die 71 Energiegenossenschaften in Weser-Ems, die seit 2007 auf den Ausbau regenerativer Energieträger setzten und eine breite Beteiligung der Bevölkerung gewährleisteten, sagte Schwengels. Dieses Modell erfahre derzeit ein starkes Interesse, das sich in zunehmenden Anfragen für Gründungsberatungen zeige. Bis Ende 2024 seien weitere Gründungen von Energiegenossenschaften zu erwarten. Auch verschiedene Kommunen sehen in genossenschaftlichen Lösungen eine gute Möglichkeit, die kommunale Wärmewende auf Basis einer breiten gesellschaftlichen Beteiligung umsetzen zu können.
Bundesweites Pilotprojekt Energy Sharing Community
Die 2023 gegründete Energiegenossenschaft Bakum eG habe 2024 zudem ein bundesweit einzigartiges Pilotprojekt gestartet hat. Zusammen mit den Kooperationspartnern Gemeinde Bakum, EWE AG (Versorger, Oldenburg) und neoom (Hersteller Batteriespeicher, Österreich) hat die Genossenschaft die erste Energy Sharing Community in Deutschland an den Start gebracht. Darin werde der Strom aus einem genossenschaftlichen Bürgerwindpark und von den kommunalen Photovoltaikanlagen auf den Dächern der Gemeinde zusammengefasst. Damit dies trotz der noch fehlenden gesetzlichen Rahmenbedingungen in Deutschland möglich ist, hätten sich die Projektpartner in einem „Demonstrationsprojekt“ zusammengeschlossen, in dem Stromzuteilung und Abrechnung realitätsnah abgebildet würden. Die Teilnehmenden erhielten pro geteilter Kilowattstunde Strom einen Bonus. Damit werde der Vorteil auch finanziell erlebbar.
Während die Gesetzgebung weiter mit einer Umsetzung auf sich warten lasse, werde in Bakum (Landkreis Vechta) gezeigt, wie Energy Sharing funktionieren könne. Somit würden wertvolle Praxiserfahrungen gesammelt, betonte Schwengels: „Es ist ein herausragendes Beispiel für genossenschaftlich entwickelte Zukunftslösungen, die von einer breiten gesellschaftlichen Teilhabe geprägt sind, die eine hohe Wirtschaftlichkeit mit demokratischen und gesellschaftlichen Werten vereinbaren und zugleich auch noch sehr nachhaltig sind.“