Genossenschaften in Weser-Ems fordern „Mut zum Aufbruch“
06.09.2023
Verbandstag: Der Genossenschaftsverband Weser-Ems kritisiert den zunehmenden Bürokratismus und die überbordende Regulatorik. Das Land muss die Wachstums-bremsen lösen. Volksbanken und Raiffeisenbanken, der genossenschaftliche Agrar- und Warenhandel und die Energiegenossenschaften sind wichtige Akteure, um den Wandel erfolgreich zu gestalten. Der niedersächsische Finanzminister Gerald Heere sieht Genossenschaften als wichtige Partner.
Oldenburg. Auf dem Verbandstag des Genossenschaftsverbands Weser-Ems forderte der Vorstand einen „mutigen und weitsichtigen Aufbruch“, damit Deutschland wieder in die vorderste Reihe der Wirtschaftsnationen aufrücken könne. Das gelte für die Unternehmen, aber vor allem auch für die Politik: „Mit Einsicht, Kraft und Mut müssen von der Politik die Rahmenbedingungen weiterentwickelt werden, unter denen Wirtschaft stattfinden kann“, sagte Verbandsdirektor Johannes Freundlieb heute in Oldenburg vor rund 300 Zuhörerinnen und Zuhörern von Mitgliedsunternehmen sowie aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft, darunter auch der niedersächsische Finanzminister Gerald Heere.
Der Verbandsratsvorsitzende Johann Kramer betonte in seiner Begrüßung, dass Genossenschaften diesen notwendigen Veränderungsprozess seit vielen Jahrzehnten erfolgreich vorlebten und eine wirtschaftliche Säule mit teilweise deutschlandweiter und internationaler Strahlkraft darstellten. In Weser-Ems zählten die mehr als 300 Mitgliedsunternehmen zudem zu wichtigen Arbeitgebern, die mehr als 18.000 Menschen in hochwertigen Jobs beschäftigten, sagte Kramer, der hauptamtlich der Raiffeisen-Volksbank eG, Aurich, vorsteht. Sie seien mit 610.000 Mitgliedern tief verankert in der Region, zeigten wirtschaftliche Stärke und Vielfalt und übernehmen in hohem Maß soziale Verantwortung.
Kritik an EU-Plänen zum Finanzsektor
Kritik gab es für die aktuellen Pläne der EU-Kommission zum Finanz- und Bankensektor. Insbesondere der Gesetzentwurf zum Krisenmanagement und zur Einlagensicherung (CMDI-Review) sowie die Überlegungen zur Kapitalmarktunion würden das bewährte System der genossenschaftlichen Institutssicherung sowie die kreditbasierte Finanzierung der mittelständischen Wirtschaft gefährden. Damit wäre die Finanzstabilität in Deutschland massiv bedroht, warnte Verbandsdirektor Axel Schwengels. Der niedersächsische Finanzminister Heere hob die Bedeutung der genossenschaftlichen Unternehmen und Banken hervor. Diese seien für ihn ein wichtiger Partner, um die Zukunft Niedersachsens aktiv gestalten zu können. Die EU-Pläne beurteilte er ebenfalls kritisch und versprach, sich für die Belange der Genossenschaftsbanken als wichtige Mittelstandsfinanzierer einzusetzen.
Wachstumsbremsen lösen: Politik muss Rahmen schaffen
Um das Land zukunftsfähig zu machen, müsse der Ausbau erneuerbarer Energien schneller geschehen, die heimische und regionale Produktion von Lebensmitteln gestärkt und mehr privates Kapital in Energiesicherheit, Klimaschutz, Digitalisierung und weitere Infrastruktur investiert werden, betonte Freundlieb. Die Politik habe die Aufgabe, dafür den passenden Rahmen zu schaffen. Dem Strukturwandel gelte es, mit einer Stärkung der modernen regionalen Landwirtschaft zu begegnen und nicht mit Abbauszenarien und -programmen sowie immer neuen Auflagen die Grundlage zu entziehen. Die Verbandsdirektoren kritisierten vor allem die überbordende Regulierungs- und Bürokratielast. Sie forderten, diese „Wachstumsbremsen zu lösen und überflüssigen Ballast von Bord zu werfen“. Genossenschaften seien zudem in vielen Handlungsfeldern Teil der Lösung, betonte Freundlieb: „Unsere genossenschaftliche Idee hilft, nachhaltige Lösungen zu entwickeln und sich dort, wo es nötig ist, zu verändern.“
Genossenschaften sind Teil der Lösung
Dies gelte für die Genossenschaftsbanken ebenso wie für die Raiffeisen-Waren- sowie die Viehvermarktungsgenossenschaften. Aber auch die Energiegenossenschaften seien ein wichtiger Baustein, um die Energiewende auf eine gesellschaftlich breite Basis zu stellen. Nur damit sei „mehr Energie in Bürgerhand“ möglich und damit eine dringend benötigte breite Akzeptanz in der Bevölkerung für den Umbau der Energieversorgung zu erreichen. Die Zahl der Anfragen nach Genossenschaftsgründungen in den Bereichen Photovoltaik, Windkraft und Nahwärme sei hoch. Jedoch müssten die Rahmenbedingungen weiter verbessert werden, forderte Schwengels in Richtung Politik und Verwaltung. Insbesondere müsse das Energy-Sharing in Deutschland endlich zugelassen werden. Dies würde es regionalen Erzeugergemeinschaften ermöglichen, ihren Ökostrom ohne Umwege und damit vergünstigt selbst nutzen zu können. Derzeit sei nur eine Einspeisung in das Versorgungsnetz möglich.
Genossenschaften steigern Umsätze
Die Genossenschaften in Weser-Ems seien insgesamt robust und leistungsstark aufgestellt, wie die Zahlen aus dem Geschäftsjahr 2022 zeigten. Die genossenschaftlichen Warenhändler, Viehvermarkter und Milchverarbeiter haben ihren Umsatz von 9,7 Milliarden Euro im Vorjahr auf 11,7 Milliarden Euro gesteigert. Neben dem preisbedingten Anstieg seien dafür in Teilbereichen hinzugewonnene Marktanteile verantwortlich. Durch das nationale und internationale genossenschaftliche Netzwerk hätten die Mitgliedsunternehmen zudem für eine stabile Versorgung der Landwirtschaft mit Futtermitteln, Dünger und Betriebsmitteln gesorgt und damit ihre Systemrelevanz unterstrichen.
Das sei angesichts der geopolitischen und wirtschaftlichen Verwerfungen durch den Ukraine-Krieg keine Selbstverständlichkeit gewesen. Gleichzeitig blickten die Unternehmen auf eine gute Ertragslage. So habe das Eigenkapital gestärkt werden können. Zudem hätten die Landwirte als Mitglieder der Waren-, Vieh- oder Molkereigenossenschaften durch entsprechende Rückvergütungen in einer insgesamt zweistelligen Millionenhöhe profitiert. Damit seien die genossenschaftlichen Unternehmen für die Zukunft gut gerüstet und blieben trotz großer Herausforderungen handlungsfähig, sagte Freundlieb.
Volksbanken und Raiffeisenbanken sind tragende Säule
Dies gelte auch für die 50 Volksbanken und Raiffeisenbanken in Weser-Ems, die als moderne Finanzdienstleiser eine tragende Säule der Kredit- und Geldversorgung in der Region darstellten, erklärte Schwengels. Mit einem Kreditvolumen von insgesamt rund 28,3 Milliarden Euro (plus 7,2 Prozent zum Vorjahr) hätten sie dafür gesorgt, dass Unternehmen in Maschinen, Prozesse und Arbeitsplätze investieren und sich die Menschen ihren Traum vom Eigenheim weiterhin erfüllen konnten. Bei den Einlagen verzeichneten die Genossenschaftsbanken ebenfalls einen deutlichen Zuwachs von 7,9 Prozent auf 25,1 Milliarden Euro. Die durchschnittliche Bilanzsumme der genossenschaftlichen Geldhäuser ist auf rund 766 Millionen Euro gestiegen (Vorjahr: 690 Mio. Euro). Die Ertragslage sei gut. Das Betriebsergebnis vor Bewertung in Höhe von 0,92 Prozent der durchschnittlichen Bilanzsumme liege leicht über dem Vorjahreswert und stelle einen bundesweiten Spitzenwert dar.
2023: Genossenschaftsbanken gut gestartet
Für das laufenden Geschäftsjahr 2023 erwartet Schwengels einen ebenfalls befriedigenden bis guten Verlauf. Das Wachstum bei Krediten und Einlagen bewege sich auf einem soliden Niveau. Das Kundenkreditvolumen hätte sich in den ersten sechs Monaten um 2,4 Prozent erhöht. Die Kundeneinlagen seien inflationsbedingt leicht um 1,1 Prozent abgeschmolzen. In der Ergebnis-vorausberechnung ergebe sich ein Betriebsergebnis vor Bewertung, das sich deutlich über dem bereits guten Vorjahresniveau bewege. „Die Zahlen zeigen, dass das Geschäftsmodell unserer Genossenschaftsbanken funktioniert“, betonte Schwengels. Das Ende der Niedrigzinsphase wirke sich positiv auf die Genossenschaftsbanken aus, die durch ihre tiefe regionale Verankerung nah an den Bedürfnissen der Menschen und mittelständischen Unternehmen agieren könnten.